Wichtige Hinweise zum Arbeitsrecht bei Schwerbehinderung 50 - Darf der Arbeitgeber danach fragen?

von Dr. Bert Howald

Für Menschen mit einer Schwerbehinderung gelten im Arbeitsrecht einige Besonderheiten. Muss ein Arbeitnehmer seine Behinderung offenlegen, und dürfen Arbeitgeber überhaupt danach fragen? Schwerbehinderte Menschen sehen sich oft Benachteiligungen ausgesetzt, fürchten den Verlust ihres Arbeitsplatzes – und entscheiden sich deshalb oftmals dafür, den Arbeitgeber nicht in Kenntnis zu setzen. Dabei greift hier der Schutz durchs Arbeitsrecht. Schwerbehinderung 50 bildet die Grenze, ab diesem Grad gilt ein Mensch in Deutschland als schwerbehindert. Wie Menschen mit einer Schwerbehinderung im Arbeitsrecht geschützt werden und was es zu beachten gilt, erklärt Experte Dr. Bert Howald, Fachanwalt für Arbeitsrecht.

9 Fragen zum Thema Schwerbehinderung im Arbeitsrecht - erklärt vom Experten Dr. Bert Howald

1. Was verstehen Juristen eigentlich unter einer Behinderung und welche Konsequenzen hat dies im Arbeitsverhältnis?

Menschen mit Behinderung werden vom Gesetz definiert als „Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“ Für die rechtliche Einordnung steht daher im Vordergrund, dass Behinderungen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erschweren können. Dies zeigt sich in der Praxis häufig an den – leider viel zu häufig auftretenden - Erschwernissen, die Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben oder im öffentlichen Raum durch umweltbedingte Barrieren erleiden. Mit Sinnesbeeinträchtigungen sind nur Abweichungen von dem für das Lebensalter typischen Zustand gemeint, also nicht überwiegend altersbedingte Abweichungen. Die Feststellung der Behinderung treffen die zuständigen Behörden auf entsprechenden Antrag des Betroffenen nach sogenannten „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“.

Dabei wird je nach Art und Umfang der festgestellten Beeinträchtigungen ein Grad der Behinderung festgestellt. Der Grad der Behinderung (GdB) wird in Zehnerschritten, ab 10 bis zu einem Grad der Behinderung von 100, gerechnet. Früher war es üblich, einen Grad der Behinderung in „x %“ anzugeben, heute ist die Angabe des Zehnerschritts ohne Prozentangabe üblich. Folgende Regelung gilt laut Arbeitsrecht: Schwerbehinderung gilt erst ab einem Grad der Behinderung von 50. Erst ab diesem Grad gilt ein Mensch als schwerbehindert. Die zuständigen Behörden können einen Grad der Behinderung unbefristet oder befristet zuerkennen. In bestimmten Fällen kann der Schutz vollständig entzogen werden. Beispielsweise wenn sich der Grad der Behinderung verringert, oder das Integrationsamt feststellt, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht an Maßnahmen der Rehabilitation oder Versuchen der Eingliederung in das Berufsleben ausreichend mitwirkt. Wer sich als Mensch, der laut Arbeitsrecht eine Schwerbehinderung bescheinigt bekommen hat, dagegen wehrt, kann eventuell wertvolle Zeit gewinnen..

2. Welche Bedeutung hat der Grad der Behinderung?

Der Grad der Behinderung hat entscheidende Bedeutung bei der Frage, welchen Schutz Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben genießen.

  • Grad der Behinderung von 50 oder mehr

Menschen mit einem Grad der Behinderung von 50 oder mehr gelten nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) als „schwerbehinderte Menschen“. Schwerbehinderte Menschen müssen sich im Bundesgebiet aufhalten oder dort einer Beschäftigung als Arbeitnehmer nachgehen, heißt es in den Regelungen zum Arbeitsrecht. Eine Schwerbehinderung (also 50 oder mehr Grad der Behinderung), können auch Menschen mit einer anderen Staatsangehörigkeit beantragen.

  • Grad der Behinderung von weniger als 50

Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, also 40 oder niedriger, zählen nicht zu den Menschen mit einer Schwerbehinderung. Laut Arbeitsrecht ist für sie der Schutz im Arbeitsleben entsprechend geringer ausgestaltet. Ab einem Grad der Behinderung von 30 kann aber eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragt werden.

Achtung! Ein Grad der Behinderung von 30 oder 40 führt nicht automatisch zu einer Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen, sondern diese Gleichstellung muss gesondert beantragt werden.

3. Arbeitsrecht: Schwerbehinderung 50 oder weniger – Welche Auswirkung hat der Grad der Behinderung im Arbeitsleben?

Bei schwerbehinderten und gleichgestellten Arbeitnehmern bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung durch das Integrationsamt, wenn diese länger als sechs Monate beim Arbeitgeber beschäftigt sind. Ohne die vorherige Integrationsamt-Zustimmung ist eine ausgesprochene Arbeitgeberkündigung ist nicht wirksam laut Arbeitsrecht. Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ohne vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist unwirksam. Schwerbehinderte Arbeitnehmer und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer werden auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt, § 207 SGB IX. Dafür müssen sie nachweisen, dass sie tatsächlich gleichgestellt sind oder eine Schwerbehinderung vorliegt. Das Arbeitsrecht besagt, dass es keinen weiteren Nachweisen etwa dergestalt, dass Belastbarkeitseinschränkungen ärztlich attestiert werden müssten, bedarf.

Schwerbehinderte Beschäftigte haben außerdem einen gesetzlichen Zusatzurlaub von fünf Arbeitstagen pro Jahr bei einer Fünftagearbeitswoche (§ 208 SGB IX), der bei weniger oder mehr Arbeitstagen pro Woche entsprechend anteilig mehr oder weniger wird. Bei schwerbehinderten Beschäftigten ist außerdem ein Präventionsmanagement nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Menschen mit Behinderungen haben außerdem Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz nach näheren gesetzlichen Anforderungen.

Der Arbeitgeber muss eine Ausgleichsabgabe zahlen, wenn er in seinem Unternehmen nicht einen bestimmten Anteil beschäftigt von Menschen mit Schwerbehinderung. Laut Arbeitsrecht muss er gegebenenfalls Arbeitsplätze entsprechend ausgestalten.

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Bei Schwerbehinderung: Arbeitsrecht schützt, wenn Arbeitgeber von Behinderung des Angestellten wissen

4. Arbeitsrecht bei Schwerbehinderung 50: Muss man dem Arbeitgeber die Behinderung offenlegen?

Früher war umstritten, ob Beschäftigte eine bestehende Schwerbehinderung gegenüber dem Arbeitgeber offenlegen müssen. Das Bundesarbeitsgericht hat am 16.02.2012 entschieden, dass die Nichtoffenlegung der Schwerbehinderung im Kündigungsfall durchaus Folgen haben kann. Zumindest dann, wenn der Arbeitgeber nichts weiß von der Schwerbehinderung. Das Arbeitsrecht schützt Angestellte nicht, wenn der Arbeitgeber gezielt nach einer Behinderung fragt, der Arbeitnehmer die Frage falsch beantwortet und dann eine Kündigung ausgesprochen wird in der Annahme, dass es sich um einen nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer handelt.

Die Schwerbehinderung ist unter anderem auch bei der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen zu beachten. Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Vorschriften, die der Arbeitgeber beachten muss, wenn er Menschen mit Behinderungen beschäftigt, siehe oben. Wenn Arbeitgeber ihren Schutzvorgaben für Menschen mit Behinderungen nachkommen wollen, müssen sie von der Behinderung wissen.

5. Was passiert bei der falschen Beantwortung der Frage nach einer Schwerbehinderung laut Arbeitsrecht?

In dem Fall des Bundesarbeitsgerichts hatte ein schwerbehinderter Mitarbeiter gegen die Kündigung des Insolvenzverwalters seiner Firma geklagt. Das Arbeitsverhältnis bestand seit etwa zwei Jahren und sollte demnächst aufgrund einer Befristung auslaufen. Einige Monate vor dem Vertragsende wurde der Arbeitgeber insolvent.

Der Insolvenzverwalter befragte die beschäftigten Mitarbeiter in Fragebögen unter anderem dazu, ob eine Schwerbehinderung vorliegt. Der Mitarbeiter verneinte dies in dem Fragebogen. Der Insolvenzverwalter kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis. Ein paar Tage später teilte der Arbeitnehmer dem Insolvenzverwalter mit, dass er mit einem Grad der Behinderung hinsichtlich als schwerbehinderter Mensch anerkannt sei.

6. Kann das Verschweigen der Schwerbehinderung laut Arbeitsgesetz im laufenden Arbeitsverhältnis Konsequenzen haben?

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die Kündigung des Insolvenzverwalters in diesem Fall wirksam war. Der Insolvenzverwalter hatte zwar keine vorherige Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung eingeholt, der schwerbehinderte Mitarbeiter könne sich hier aber nicht darauf berufen, dass eine solche Zustimmungsentscheidung vorher hätte eingeholt werden müssen.

Hintergrund ist, dass der Insolvenzverwalter zuvor von dem Mitarbeiter gerade nach einer Schwerbehinderung gefragt hatte. Da der Arbeitnehmer diese Frage verneint hatte, konnte der Insolvenzverwalter nicht davon ausgehen, dass das Integrationsamt eingeschaltet werden muss. Die Frage nach der Schwerbehinderung war in diesem Fall auch nicht unzulässig.

Das Bundesarbeitsgericht hält die Frage nach der Schwerbehinderung zumindest im vorliegenden Fall für zulässig. Wenn der Arbeitnehmer diese Frage wahrheitswidrig falsch beantwortet, kann er sich nicht mehr auf den erhöhten Schutz schwerbehinderter Menschen vor Kündigungen berufen, so das Bundesarbeitsgericht im Ergebnis (Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 16.02.2012, gerichtliches Aktenzeichen 6 AZR 553/10).

Offenlegung der Schwerbehinderung: Arbeitsrecht gibt Richtlinien vor

7. Nach Arbeitsrecht: Schwerbehinderung 50 muss ungefragt offengelegt werden?

Hinter der Entscheidung steht das Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Der Arbeitnehmer darf bei einer zulässigen Nachfrage des Arbeitgebers nicht wahrheitswidrig antworten, wenn er sich auf die Schutzvorschriften für schwerbehinderte Menschen berufen will.

Anders dürfte es sich darstellen, wenn der Arbeitgeber nicht gezielt nach einer Schwerbehinderung gefragt hat. Denn der Arbeitnehmer muss seine Schwerbehinderung nicht ungefragt offenlegen. Er kann sogar nach Ausspruch einer Kündigung noch innerhalb von drei Wochen nach deren Zugang den Arbeitgeber über eine Schwerbehinderung informieren und geltend machen, dass die Kündigung wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam ist. Er muss dazu dem Arbeitgeber die Tatsache der Schwerbehinderung mitteilen, sich auf die Unwirksamkeit wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes berufen, aber auch nicht vergessen, dass er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigungskündigungsschutzklage einreichen muss.

8. Bei Schwerbehinderung: Laut Arbeitsrecht ein "Recht zur Lüge" bei der Einstellung?

Inzwischen ist es fast unbestritten, dass Arbeitgeber bei der Einstellung von Mitarbeiter nnen oder Mitarbeiter n nicht nach einer bestehenden Schwerbehinderung fragen dürfen und dass Bewerber diese Frage nicht wahrheitsgemäß beantworten müssen. Die Frage nach einer Schwerbehinderung tellt nämlich bei der Einstellung eine unzulässige Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ("AGG") dar und ist deshalb unzulässig. Der Bewerber darf nach weit verbreiteter Auffassung die Frage sogar falsch beantworten, ohne dass dies Konsequenzen hat ("Recht zur Lüge") – siehe dazu etwa die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.09.2014 (Aktenzeichen 8 AZR 759/13).

9. Ist die Frage nach Eignung für die konkret auszuübende Tätigkeit laut Arbeitsrecht bei Schwerbehinderung 50 zulässig?

Auch wenn die Frage nach einer bestehenden Behinderung bei der Einstellung nicht zulässig ist, muss der Arbeitgeber Fragen zur Geeignetheit des Bewerbers für die konkrete Tätigkeit, bspw. für das Tragen von Lasten, stellen dürfen – jedenfalls dann, wenn die Fragen strikt tätigkeitbezogen bleiben und sich nicht in allgemeinen Fragen zur körperlichen Konstitution verlieren („Sind Sie uneingeschränkt fit?“).

Wenn der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin eine solche Frage bei der Einstellung falsch beantwortet und eigentlich für die Tätigkeit nicht geeignet ist, kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen Täuschung anfechten.

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Dr. Bert Howald
Fachanwalt für Arbeitsrecht, ist Partner der Kanzlei Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Stuttgart.

www.gassmann-seidel.de