Fehler im Sport: „Viel hilft nicht immer viel."

Markus Neumann ist Physiotherapeut, Fitness-Coach, Triathlet und Praxisinhaber und lebt in der Nähe von Frankfurt. Mit dem passionierten Sportler haben wir über Fehler im Sport, seinen persönlichen größten Ausrutscher und darüber gesprochen, wie man im Alltag, aber auch im Job, am besten mit Fehlern umgeht.

Fehler im Sport: Gibt es den einen, ultimativen Kardinalfehler, der dir als Fitness-Coach und Leistungssportler immer wieder begegnet?

Markus Neumann: Ja, es gibt eine Sache, die begegnet mir immer wieder, insbesondere unter Leistungsportlern. Viele arbeiten nämlich nach dem Motto „viel hilft viel“. Sie denken, umso mehr und härter sie trainieren, umso schneller geht alles voran. Durch ihre Übermotivation vergessen sie dann allerdings die Regeneration. Sie kommen in das Übertraining. Der Körper hat überhaupt gar keine Chance mehr, die vielen Trainingsreize zu verarbeiten. Im Fachjargon reden wir dann von Superkompensation. Der Körper ist erschöpft, der Sport macht keinen Spaß mehr und wird zur Pflicht. Das ist gerade in meiner Branche, im Triathlon, ein richtiges Problem. Ich trainiere lieber weniger, dafür aber intensiver. Ich kenne einige Kollegen, die sich fragen, wie ich mit dem wenigen Training überhaupt mithalten kann. Ganz einfach: Ich gebe meinem Körper die nötige Zeit, die Anforderungen zu verarbeiten.

Das klingt grundsätzlich nach einer guten Idee.

Markus Neumann: Stimmt. Wenn man so will, kann man dieses Prinzip auch allgemeiner sehen. Statt sich ständig auf der Arbeit oder in der Freizeit zu überreizen, sollten sich die Leute lieber gezielt Auszeiten gönnen. Und dann mit frischer Kraft und mehr Energie wieder zur Tat schreiten. Manchmal macht es den Anschein, dass wir ständig besser sein wollen als unser Gegenüber, dass wir uns ständig profilieren müssen. Und dabei – ähnlich wie ein Körper in einem zu harten Training – fortlaufend überreizen. Immer gleich von Null auf Hundert, ohne dabei auf uns selbst zu achten.

Was war der größte Ausrutscher, der dir selbst als Sportler bisher passiert ist?

Markus Neumann: 2008 in Malaysia. Das war eine Situation, über die ich mich sehr geärgert habe und die mir auch bis heute nachhängt. Damals habe ich die Qualifikation zum Ironman auf Hawaii um 56 Sekunden verpasst. Bei einer Gesamtzeit von knapp 10 Stunden! Das tut schon weh. Der Grund für diesen minimalen Rückstand war letztlich banal. Ich habe in der Wechselzone vom Rad zum Laufen versucht, meine Kompressionsstrümpfe anzuziehen – eine schwierige Sache bei der Hitze und der Anstrengung. Dabei habe ich locker zwei Minuten verloren. Zwei Minuten, die mich mein Ticket nach Hawaii gekostet haben, denn so bin ich nur auf dem dritten Platz gelandet. Für die Qualifikation hätte es Platz 2 sein müssen. Als Selbstständiger und der Verantwortung für zwei Praxen habe ich viel weniger Zeit zum Trainieren als damals. Dass mein Traum vom Ironman auf Hawaii irgendwann doch noch wahr wird, in unwahrscheinlich. Und das alles wegen einer minimalen Fehlentscheidung.

Wie gehst du damit um, wenn den Mitarbeitern deines Physiotherapie-Teams ein Missgeschick unterläuft?

Markus Neumann: Das kommt zum Glück sehr selten vor, weil wir uns auf jeden Patienten individuell vorbereiten. Die meisten Dinge, die wir als Physiotherapeuten berücksichtigen müssen, sind auf den Unterlagen vermerkt, die die Patienten vom Arzt zur Nachbehandlung bekommen. Deshalb passiert selten ein grober Fehler – was in der Gesundheitsbranche ja eh kritisch ist. Wenn doch einmal ein Missgeschick auftritt, dann kommen die Mitarbeiter direkt auf mich zu, um sich mit mir zu besprechen. Deshalb ist so wichtig, dass zwischen Mitarbeitern und Chef ein Vertrauensverhältnis herrscht. Ich würde meine Leute nie bloßstellen oder rund machen, sondern gemeinsam überlegen, was wir tun und wie wir den Fehler korrigieren können. Wir machen zum Beispiel einmal im Monat eine Teamsitzung, wo wir eben auch so etwas besprechen. Es geht immer darum, es besser zu machen und aus Fehlern zu lernen.

Fehler können durchaus etwas Komisches haben. Über welchen Schnitzer musstest du schon einmal herzlich lachen?

Markus Neumann: Diese Frage ich echt schwierig. Eben weil wir mit Menschen arbeiten und weil der medizinische Bereich eine sehr sensible Angelegenheit ist, machen wir uns natürlich nicht über körperliche Beschwerden lustig. Ein Klassiker ist allerdings die Rechts-Links-Falle, in die man selbst als erfahrener Physiotherapeut noch tappen kann. Das passiert besonders schnell, wenn der Patient keine sichtbaren Narben hat. Wenn dann ein „sie wissen schon, dass es das andere Knie ist“ kommt, muss man das auch einfach mal mit Humor nehmen dürfen. Klar, nach außen bleiben wir völlig souverän, wenn wir Ihnen als Physiotherapeuten ein „ich wollte nur sehen, ob mit der gesunden Seite alles in Ordnung ist“ antworten. Aber innerlich darf man dann auch mal über sich selbst schmunzeln.

Hast du einen Ratschlag zum Umgang mit Fehlern, der sich nicht nur auf die körperliche Fitness, sondern ebenso auf den Berufsalltag anwenden lässt?

Markus Neumann: Im Grunde deckt sich mein Rat mit dem, was ich vorab schon erwähnt habe: Viel hilft eben nicht immer viel. Lieber öfter mal einen Gang rausnehmen. Die Grenzen, die ich als Sportler zu Spitzenzeiten oder in einem Wettkampf überschreiten kann, die kann ich nicht einfach auf meinen Alltag übertragen. Ob Leistungssportler oder nicht, wir können weder körperlich noch mental permanent auf Volllast laufen. Und wenn doch mal etwas schiefgeht, dann ist es wohl das wichtigste, weiterhin positiv zu denken und das Beste aus einem Fehler zu machen. Die Erfahrung zeigt schließlich auch, dass wir einen groben Fehler, für den wir ein paar Federn lassen mussten, kein zweites Mal machen.

Bist du jemals wieder mit Kompressionsstrümpfen gelaufen?

Markus Neumann: (lacht) Ja, ich bin tatsächlich wieder damit gelaufen. Aber nur noch bei Veranstaltungen, wo man die Socken vorher anziehen kann.

Zur Person:

Markus Neumann hat nach seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten Sport an der Frankfurter Goethe-Universität studiert. Heute ist er Inhaber von mehreren Physiotherapie-Praxen und Fitnessstudios. Zu seinen wichtigsten Wettkämpfen zählen die ITU Langdistanz Weltmeisterschaft in Immenstadt sowie zahlreiche Ironman-Läufe in Frankfurt, auf Mallorca und in Malaysia.