Soziales Pflichtjahr für alle: Was spricht dafür, was dagegen?

von Christina Pichlmaier

Der Zivildienst ist seit der Aussetzung der Wehrdienstpflicht Geschichte. Nicht lange danach wurden Stimmen laut, die einen Ersatz dafür forderten. Seitdem flammt die Diskussion darüber in schöner Regelmäßigkeit auf. Doch wie soll so eine Verpflichtung für gesellschaftliches Engagement aussehen? Gibt es nicht bereits Freiwilligendienste? Und welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus solch einer allgemeinen Pflicht? Monster gibt dir einen Einblick in das Thema soziales Pflichtjahr für alle.

Was ist ein soziales Pflichtjahr?

Über eine allgemeine Dienstpflicht wird seit der Aussetzung der Wehrpflicht und dem damit verbundenen Wegfall des Zivildienstes immer wieder heiß diskutiert. Wie ein allgemeiner Pflichtdienst aussieht, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Schließlich gibt es ihn in der geforderten oder gewünschten Form nicht. Grundsätzlich geht es jedoch darum, einmal im Leben für eine gewisse Zeit aktiv an gesellschaftlichem Engagement teilzunehmen. Es richtet sich ausdrücklich an die gesamte Bevölkerung, also nicht wie beim Wehr- bzw. Zivildienst ausschließlich an männliche Bürger.

Wehrpflicht und Zivildienst in der Vergangenheit

Sozialer Dienst war bis 2011 eng mit der Wehrpflicht verbunden. Wo Freiwilligendienste allen zugänglich waren, bestand die Pflicht zum Wehrdienst nur für Männer. Im Rahmen des Grundgesetzes gab es jedoch die Möglichkeit, den Wehrdienst aus Gewissengründen zu verweigern. Stattdessen mussten sie einen Wehrersatzdienst, also Zivildienst, leisten.

Zivildienstleistende – kurz Zivis – waren überwiegend in Pflegeeinrichtungen, beispielsweise in der Alten- und Krankenpflege, in Behinderteneinrichtungen, in Kinder- und Jugendeinrichtungen und in der Obdachlosenhilfe tätig. Sie konnten aber auch im Katastrophenschutz, im Sanitätsdienst und bei der Feuerwehr aktiv sein.

Freiwilligendienste in der Gegenwart

In Deutschland existieren verschiedene Freiwilligendienste, die staatlich gefördert werden. Die beiden bekanntesten Formate sind das freiwillige soziale Jahr (FSJ) und das freiwillige ökologische Jahr (FÖJ), die durch das Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG) geregelt werden. Beide richten sich an Interessierte zwischen 16 und 26 Jahren und dauern je nach Vereinbarung zwischen sechs Monaten und zwei Jahren.

Wie es der Name schon andeutet, geht es beim Freiwilligendienst nicht darum, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, sondern um gesellschaftliches Engagement, persönliche Entwicklung sowie berufliche Orientierung. Die staatliche Förderung bezieht sich in der Regel darauf, dem Träger die Unkosten der Tätigkeit auszugleichen und auch dem Teilnehmenden möglichst keine Kosten entstehen zu lassen. So wird ihnen normalerweise Unterkunft, Verpflegung und Arbeitskleidung unentgeltlich zur Verfügung gestellt oder alternativ eine entsprechende Ersatzleistung gezahlt.

Freiwilliges soziales Jahr

Laut JFDG handelt es sich beim freiwilligen sozialen Jahr (FSJ) um eine „überwiegend praktische Hilfstätigkeit, die an Lernzielen orientiert ist, in gemeinwohlorientierten Einrichtungen geleistet“ (§3 JFDG). Typische Einsatzbereiche sind:

  • Einrichtungen für Kinder- und Jugendhilfe
  • Jugendbildung und Jugendarbeit
  • Wohlfahrtpflege
  • Gesundheitseinrichtungen
  • Sportbereich
  • Kultur- und Denkmalpflege

Freiwilliges ökologisches Jahr

Analog zum FSJ ist auch das freiwillige ökologische Jahr (FÖJ) eine überwiegend praktische Hilfstätigkeit (§4 JFDG). Hier steht jedoch das weite Feld des Umwelt- und Naturschutzes sowie Nachhaltigkeit im Vordergrund. Du kannst dein FÖJ beispielsweise in folgenden Einrichtungen absolvieren:

Weitere Freiwilligendienste

Über die beiden Optionen FSJ und FÖJ hinaus gibt es weitere geförderte Freiwilligendienste, die im In- und Ausland stattfinden. Dazu gehören:

  • Internationaler Jugendfreiwilligendienst (IJFD)
  • Anderer Dienst im Ausland (ADiA)
  • Europäischer Freiwilligendienst (EFD).

Außerdem besteht in Wohltätigkeitsorganisationen und anderen Bereichen die Möglichkeit, ehrenamtlich tätig zu sein.

Wie könnte ein zukünftiges soziales Pflichtjahr für alle aussehen?

Die einfache Antwort wäre: Nach dem Vorbild des früheren Zivildienstes sowie in Verbindung mit den Einsatzbereichen und Rahmenbedingungen von FSJ und FÖJ. Allerdings wäre es sinnvoll, es sehr viel weiter zu fassen. Über die „klassischen“ Einsatzgebiete hinaus können beispielsweise auch Einrichtungen für politische Bildung, Gedenkstätten, kommunale Vereine, Bürgerinitiativen und historische Stätten Bereiche sein, in denen soziales Engagement wirkungsvoll und sinnstiftend ausgeübt werden kann.

Vor allen Dingen darf ein Pflichtjahr nicht als Mittel zum Reduzieren von Personalmangel dienen. Es sollte bei keinem Pflichtjahrleistenden der Eindruck entstehen, es sei Zeitverschwendung, die die berufliche Karriere verzögert. Vielmehr besteht dabei für alle die Möglichkeit, Fähigkeiten, Interessen und Neugier in einem Bereich einzubringen, der auch die eigene Entwicklung fördert und nicht ausschließlich auf andere ausgerichtet ist. Zudem muss die finanzielle Seite eines Pflichtdienstes über einen Unkostenausgleich hinausgehen, um für alle Beteiligten fair und nachhaltig zu sein.

Pro

  • Berufliche Orientierung:
    Im Gegensatz zum früheren Zivildienst und auch teilweise zum klassischen Praktikum kann ein soziales Pflichtjahr eine ideale Methode sein, um sich über den eigenen Karriereweg klar zu werden. Vorausgesetzt die Einsatzbereiche werden wesentlich weiter gefasst.
  • Verständnis für andere Bevölkerungsgruppen schaffen:
    Indem Bürger:innen außerhalb des normalen Umfelds agieren, kommen sie mit unterschiedlichen ökonomischen Schichten, alternativen Lebensentwürfen, anderen Kulturhintergründen, Einwanderungsgeschichten, religiösen Unterschieden, Kranken, Alt und Jung sowie gesellschaftlichen Problemstellungen in Berührung.
  • Jung und Alt:
    Obwohl die Politik im Ansatz zunächst auf junge Menschen schaut, so sollte ein soziales Pflichtjahr grundsätzlich keine Altersbeschränkungen aufweisen. So würde sich die Einbindung nicht nur fair für alle gestalten, sondern auch den Austausch zwischen Generationen und zwischen unterschiedlichen Erfahrungsschätzen ermöglichen. Lücken im Lebenslauf würden weiter an Bedeutung verlieren.
  • Persönliche Entwicklung:
    Eine Zeit lang – ob ein Jahr oder ein paar Monate – etwas anderes tun, hilft dabei, auch sich selbst in anderem Licht zu sehen und neue Seiten an sich selbst kennenzulernen.
  • Zusammenhalt der Gesellschaft:
    Aus dem eigenen Umfeld heraus zu kommen und sich mit unterschiedlichen Themen und Menschen zu beschäftigen, kann dabei helfen, den Blick auf die Gesellschaft zu erweitern. Ein soziales Jahr kann in dem Zuge dazu beitragen, sich mit unserem Gesellschaftsmodell zu identifizieren, die im Grundgesetz angegebenen Werte (insbesondere §§1-20 GG) zu verinnerlichen und so Zusammenhalt zu schaffen.

Kontra

  • Eingriff in die individuelle Freiheit:
    Ein Pflichtjahr ist völkerrechtlich problematisch, da es in Konflikt steht mit dem Verbot von Zwangsdiensten. Zudem würden gerade jüngere Generation überproportional mehr belastet.
  • Versäumnisse der Vergangenheit:
    Es ist nicht ganz fair, wenn die gegenwärtige Jugend im Hinblick auf die Versäumnisse der älteren Generationen (z. B. Stichwort Pflegenotstand) mithilfe eines Pflichtjahrs gegensteuern muss.
  • Fachkraft vs. Hilfskraft:
    Berufe mit notorischem Fachkräftemangel, beispielsweise Pflegeberufe, sind prädestiniert für Freiwilligenarbeit oder eben ein soziales Pflichtjahr. Pflichtdienstleistende können aber solche Positionen nicht ausfüllen, da sie dafür nicht ausgebildet sind. Sie sind Hilfskräfte, die als Unterstützung für das Fachpersonal tätig sind. Sie können daher keine fachspezifische Verantwortung tragen und können demnach auch nicht als personelle Aufstockung, also Fachkräfte, fungieren.
  • Kein Lebensunterhalt:
    Abhängig von der eigenen Lebenssituation hat nicht jede:r die Möglichkeit, für einige Monate oder gar ein Jahr lang auf Einkommen zu verzichten. Für viele wird die Rechnung nicht aufgehen bei einer Tätigkeit, bei der zwar keine Unkosten entstehen, aber sich kein finanzielles Plus für den Lebensunterhalt ergibt
  • Ungleiche Ableistung:
    Zweifellos würden gewisse Rahmenbedingungen und Ausnahmeregelungen wie beim Wehr- und Zivildienst formuliert werden. Dadurch besteht jedoch die Möglichkeit, sich diese zunutze zu machen, um kein Pflichtjahr absolvieren zu müssen. Diese Option – beispielsweise durch finanzielle Mittel oder sozialen Status – steht eindeutig nicht allen Bürger:innen offen, wodurch es zu Ungleichheit kommt.
  • Existierende Freiwilligendienste:
    Es bestehen Freiwilligendienste und Ehrenämter, die die Vorteile eines Pflichtjahres bereits auf die ein oder andere Weise erfüllen. Ein Ausbau dessen – womöglich mit neuen Anreizen – würde existierende Strukturen nutzen und Investitionen zu deren Nachteil minimieren.

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